Teil 2 – Wenn der Kopf nicht mehr mitspielt: Mein Weg in die Depression

Veröffentlicht am 23. April 2025 um 19:31

Ein schleichender Verlust

 

Es war keine klare Grenze, kein plötzliches Ereignis.

Es war ein schleichender Prozess. Wie Nebel, der sich langsam über dein Leben legt. Erst leicht, kaum spürbar – dann dichter, erdrückender, lähmender.

Ich konnte es zuerst nicht benennen. Ich spürte nur: Irgendetwas stimmt nicht. Ich verändere mich. Und das macht mir Angst.

Innerlich schwankte ich zwischen Extremen: An manchen Tagen hatte ich das Gefühl, ich sei dazu bestimmt, Großes zu tun. Ich fühlte eine fast übernatürliche Energie in mir, als könnte ich mit meiner Kraft ganze Systeme verändern, die Menschheit heilen, das Licht in die Dunkelheit bringen. Es war eine Art spiritueller Größenwahn – eine Euphorie, die mich für Stunden oder Tage tragen konnte.

 

Doch ebenso schnell kam der Absturz.

 

Tiefe Selbstzweifel rissen mich in den Abgrund. Ich fühlte mich klein, wertlos, fehl am Platz in dieser Welt. Und dieses Hin und Her – diese emotionalen Schleudergänge – zermürbten mich.

Ich wusste: Das bin nicht ich.

Aber ich wusste auch nicht mehr, wer ich eigentlich war.

Der Verlust der Realität

 

Heute weiß ich: Ich hatte den Kontakt zur Realität verloren. Ich steckte in einer gefährlichen Mischung aus Erschöpfung, emotionaler Überforderung und beginnender psychischer Erkrankung. Aber damals konnte ich das nicht einordnen.

Ich war gereizt, erschöpft, innerlich leer. Mein Kopf war voll, aber gleichzeitig leer. Gedanken rasten. Und ich war nicht mehr in der Lage, das zu stoppen.

Was die Sache verschärfte: Ich hatte Erwartungen an mich selbst, die jenseits jeder Realität lagen. Ich wollte alles richtig machen. Immer mehr leisten. Immer für andere da sein. Und das in einem Umfeld, das mich emotional auszehrte.

Die dunkle Seite der Feuerwehr

 

Ich war Feuerwehrmann – ein Job, der nach außen hin Respekt genießt. Klarheit, Mut, Kameradschaft.

Aber die Realität ist oft eine andere.

Ja, ich habe viele großartige Menschen getroffen. Aber ich habe auch das Gegenteil erlebt: Machtspiele. Mobbing. Führungskräfte mit Ego-Problemen. Kolleg:innen, die einander ausspielten, statt einander zu stärken.

Ich erinnere mich an Nächte im Schichtdienst, in denen ich vor Erschöpfung kaum noch wusste, wie ich heiße. Und trotzdem funktionierte ich. Weil man das so macht. Weil man stark sein muss. Weil Schwäche keinen Platz hat.

Ich selbst wurde gemobbt – von meinem Vorgesetzten. Und ich habe erlebt, wie Themen wie psychische Belastung oder emotionale Überforderung nicht etwa aufgefangen, sondern ignoriert wurden.

Hauptsache, du funktionierst.

Der Zusammenbruch

 

24 Stunden nach einem besonders belastenden Dienst kam es zum totalen Zusammenbruch.

Ich hatte das Gefühl, mein Gehirn explodiert. Ich verlor den Bezug zur Realität. Ich hatte Todesangst – echte, körperliche Todesangst. Ich war überzeugt: Ich sterbe. Jetzt.

Ein sogenanntes psychotisches Ereignis. Ein absoluter Ausnahmezustand.

Mein System zog die Reißleine.

Und zum ersten Mal in meinem Leben war klar: Ich brauche Hilfe. Sofort.

Hilfe suchen – und nicht finden

 

Ich kontaktierte den sozialpsychiatrischen Dienst. Bekam zwei Termine. Ich redete. Ich versuchte, zu erklären, was in mir vorging. Aber es kam nichts zurück, was mir wirklich half. Es waren Gespräche – aber keine Verbindung.

Ich fühlte mich alleingelassen.

Und dann kam der Monat danach. Ich war zu Hause. Reglos. Gelähmt. Panikattacken kamen in Wellen. Ich konnte nicht schlafen, nicht denken, nicht fühlen. Ich war ein Schatten meiner selbst.

Und doch war genau das der Wendepunkt.

Denn diese Panikattacken haben mir gezeigt: So kann es nicht weitergehen.

Ich habe mich selbst eingewiesen. In eine psychiatrische Klinik.

Die beste Entscheidung meines Lebens

 

Es war keine leichte Entscheidung. Und es war auch kein einfacher Aufenthalt.

Aber es war der Moment, in dem ich zum ersten Mal in meinem Leben sagte: „Ich kann nicht mehr. Und ich muss auch nicht mehr.“

Zum ersten Mal hörte ich auf, mich selbst zu belügen.

Ich war am Tiefpunkt – aber ich war bereit, mich meiner Geschichte zu stellen. Und damit begann etwas Neues.

Was du daraus mitnehmen kannst

 

Vielleicht steckst du gerade in einer ähnlichen Phase.

Vielleicht funktionierst du nur noch. Vielleicht verdrängst du schon zu lange.

Dann hör mir zu: Es wird nicht besser, wenn du weiter schweigst.

Du bist nicht schwach, wenn du Hilfe brauchst. Du bist mutig.

Ich bin diesen Weg gegangen – nicht, weil ich besonders bin, sondern weil ich zu lange gewartet habe.

Und wenn du dir eins merken willst aus diesem Text, dann das:

 

Funktionieren ist kein Leben.

Vorschau: Teil 3 – Heilung beginnt mit Hinsehen

 

Im nächsten Teil erzähle ich dir, wie mein Aufenthalt in der Klinik wirklich war. Kein Klischee. Kein Schöngerede. Sondern ehrlich.

Ich spreche über die Scham, die Unsicherheit – und die ersten kleinen Schritte zurück zu mir selbst.

Denn Heilung beginnt nicht mit Medikamenten. Sondern mit Wahrheit.

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